Der Bildsezierer Dietmar Brehm
Der Künstler Dietmar Brehm gilt als einer der intensivsten Bildmedienverschränker der österreichischen Gegenwartskunst. Seine künstlerisch multimedial angelegte Produktivität ist erstaunlich und umfasst neben filmischen Arbeiten auch Malerei, Fotografie und Zeichnung.
(…) Er orientiert sich in seiner künstlerischen Arbeit an der Reflexion des Wirklichen und vermittelt in seinen Bildwerken dabei den Blick auf Fremdartiges und Enigmatisches, das immer dramatische Ereignisse erahnen lässt. Sein gesamtes künstlerisches Schaffen widmet er der Entdeckung und Erforschung des (elektronischen) Abbilds und der psychologischen Analyse von Bildmaterial. Weil auch Brehms Sujets zwischen Reduktion von Realem und Abstraktion bewegen, lösen diese beim Betrachter eine Reihe von Assoziationsketten aus. Narrative Lücken werden durch den Rezipienten über dessen eigenen emotionalen und intellektuellen Hintergrund gefüllt. Dies gilt besonders für seine phantasmagorisch wirkenden
Experimentalfilme. (…) Im Prozess der Umdeutung der universellen Wirklichkeit – bzw. dessen, was gemeinhin als Wirklichkeit bezeichnet wird – zu erfassbaren bzw. decodierten Bildern treten bei Brehm das Reale und das Artifizielle scheinbar unmerklich ineinander. „Meine Gesamtarbeit ist ein Blickausdehnungs-versuch. Ich kann nie die Grenze bestimmen, wo das Natürliche endet und das künstliche beginnt. Alles ist fließend.“ (…) Geht es ihm im Film um eine intensive Materialverdichtung, so intendiert Brehm in der Malerei (ebenso in der Fotografie und Zeichnung) eine Materialentzerrung bzw. Bildanhaltung, die auf Reduktion, Einfachheit und Klarheit ausgerichtet ist. Das Themenrepertoire seiner Malerei ist auch hier von Körperlichkeit gekennzeichnet, mit Aspekten der Landschaft erweitert und von absurder, geradezu grotesker Dinglichkeit beherrscht. Zahlreiche symbolische Chiffren, die wie ein fremdes Zeichensystem erscheinen und oftmals die Umwandlung von Bild zum Muster (Icon, Piktogramm, Emblem, Hieroglyphen, etc.) intendieren, zeichnen viele seiner puristisch anmutenden malerischen Zyklen aus und lassen in ihrer Farbigkeit und extrem flächigen Darstellung Verweise auf die Pop-Art anklingen. Je weniger der Bildinhalt bestimmt wird und in Abstraktionsformen übergeht, um so mysteriöser wirkt das Bild und lässt wiederum Freiraum für eigene Assoziationen. (…) Der Betrachter, der sich auf dieses Spiel einlässt, wird in Brehms grell leuchtenden Bilder mit eigenwilliger Motivik durch einen suggestiven Sog hineingezogen. So signifikant die Brehmschen Malereien durch die souveräne Regie der Elemente, Versatzstücke und Einschübe sind, überfordern sie den Betrachter nicht durch Reizüberflutung, was wohl an der destillierten wie isolierten Art seiner Sujets liegt. Dennoch lösen sie Unbehagen und Verwirrung aus, was nicht nur an der vorenthaltenen bzw. fragmentarischen Information legen mag. sondern auch an den uns fremden Bildkürzeln. Brehm geht zwar in seiner emblematischen Malerei von der Realität aus, schafft aber spielend eine neue. (…)
Der radikale Bilderzeuger Brehm, der immer auf die Unerklärbarkeitsebene des Bildes verweist, gaukelt in seinem Bilderkosmos keine Paradiese vor, sondern bewirkt das Einsehen der Künstlichkeit von Bildern, was wohl für so manche Irritation sorgt. Seine mysteriöse wie eruptiven Arbeiten setzten die notwendige Energie frei, die den Betrachter letztlich die gegenwärtige Konzeption des (anderen) Sehens befragen lässt, die für das Denken und Erkennen von Welt notwendig und prägend ist, wohl wissend, dass es sich beim Erhaschen von Wirklichkeit immer um ein absurdes Ansinnen handelt oder, um im Brehmschen Sinn mit
Dostojevski zu sprechen: „Nichts ist unglaubwürdiger als die Wirklichkeit.
Hans-Peter Wipplinger: Dietmar Brehm. Blickzwang.
gekürzter Text, aus: Katalog Museum Moderne Kunst-Stiftung Wörlen,
Passau 2005
FORTLAUFEND.
Zur Atelierarbeit gehört, seit 1995, zwingend das notieren von Wörtern, die sich zu Sentenzen formulieren.Die Sätze werden unter der Headline FORTLAUFEND gesammelt. Publikationen zahlreich in Katalogen, in den Büchern zur Filmarbeit, in Kunst und Filmzeitschriften, Der Standard, u.v.m. Sollte ich jemals mit das Schreiben der FORTLAUFEND – Sentenzen beenden, hoffe ich, dass sie sich in einem Buch versammeln.
Für die Homepage der Galerie Schloss Puchheim habe ich einige kürzere Sätze ausgesucht …
SEKUNDENFALLE. Stillstand, länger als eine Sekunde ist unheimlich.
MANCHMAL. Roter Regen. Blauer Stuhlgang. Schwarzes Gehirn.
STRAHLEN. Die Haare werden dünner, das Gesäß schrumpft. Hat mich Mabuse mit seinen Todesstrahlen beschossen?
VERKLEIDUNG. Muss mich ab morgen wieder verkleiden, damit ich besser aussehe.
DENKEN. Nie habe ich das Gefühl, dass ich beim Malen viel denken muss. Wenn sich beim Malen das Gefühl einstellt, dass ich gar nicht male, male ich am besten. Genau so ist es mit der Filmarbeit.
GESPENST. Das Wetter war so schlecht, dass der ganze Tag schwarz war. Zeichnete in der Nacht ein Gespenst, und hoffte, dass das Wetter noch schlechter wird. Vielleicht zeichne ich dann zwei Gespenster.
GULASCH. Das Gulasch war so gut, dass ich mich auf den Stuhlgang freute.
SCHATTEN. Regelmäßig Spaziergänge, um meinen Schatten auszuführen.
BOGEN. Wenn ich meinen Schatten sehe, muss ich einen großen Bogen gehen, um nicht über den Schatten zu stolpern.
VERSINKEN. Will ich wirklich im eigenen Schatten versinken?
ALARM. 6 mal genießt und 3 mal gehustet ist 9 mal Alarm.
JESUS. Der Donner knallte so laut, das ich „Hallo Jesus“ stöhnte,den so einen lauten Donner will ich nie mehr hören.
SARG. 1980 malte ich 100 Särge. Allerdings habe ich meinen Sargbis heute noch nicht gemalt.
LEICHE. Viel lieber, als letztlich eine reale Leiche zu werden, würde ich ewig lang eine Filmleiche darstellen wollen.
FEHLER. Filmen ist viel schwieriger als das Bilder malen. Ein Filmfehler kostet 1000 Euro, während ein Malfehler nur 10 Euro kostet.
TEST. Sind die Wolken am Himmel ein Rorschachtest?
INSPIRATION. Ist die Inspiration schwach, muss ich den Himmel melken.
DENKEN. Denken, um Sinn oder Unsinn zu erzeugen.
ÜBERRASCHT. Bin nie überrascht, wenn ich schneller filme als die Zeit vergeht.
IMMER. Tage, an denen sich nichts besonderes ereignet, sind die Lieblingstage.
ATELIER. Wusste mit mir nichts anzufangen und dachte „Scheiße zum Quadrat“,während ich im Kreis ging.
WIRKLICH. Reproduzierte Wirklichkeit gefällt mir viel besser als die wirkliche Wirklichkeit.
VERMUTLICH. Wenn ich tot bin, lasse ich mich ausstopfen.
ENERGY. Wenn ich die schwere Filmkamera auspacke, trinke ich zur Sicherheit einen Energy-Drink.
UNSICHTBAR. Stellen sie sich einen unsichtbaren Film vor.
AUGEN. Habe nichts dagegen, wenn man meine Filme und Bilder mit geschlossenen Augen betrachtet.
MANCHMAL. Manchmal suche ich einen Bleistift, während ich an die Filmkamera denke und einen Pinsel finde.
STOPP. Stopp ist das wichtigste Wort für jede Kunstarbeit. Stopp im falschen Moment gesagt, und die Kunstkatastrophe ist da. Stopp im richtigen Moment gesagt, macht ein Bild, einen Film, zu einem Loch in der Wand.